Austausch statt Isolation!

NKVF überprüft Bundesasylzentren in der Asylregion Tessin und Zentralschweiz

Von September 2023 bis Januar 2024 hat die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter NKVF unangemeldet die Bundesasylzentren in der Asylregionen Tessin und Zentralschweiz besucht. Die NKVF gibt durch die Berichterstattung Einblick in die Situation vor Ort und formuliert klare Empfehlungen an das Staatssekretariat für Migration SEM und die Betreiberunternehmen.

Im Rahmen dieser Besuche überprüfte die Kommission die Einhaltung menschenrechtlicher und grundrechtlicher Vorgaben in Bezug auf Unterbringung und Betreuung, Gewaltprävention und die materiellen Bedingungen der Unterbringung. Dazu führte die NKVF vertrauliche Gespräche mit asylsuchenden Personen, mit der Zentrumsleitung sowie mit Leitungen und Mitarbeitenden der Betreuungsunternehmen (einschliesslich des Gesundheitsdienstes) und der Sicherheitsunternehmen dieser Bundesasylzentren.

Die besuchten Bundesasylzentren übergreifend…

  • ist die NKVF der Ansicht, dass provisorische Unterkünfte wie Mehrzweckhallen und Containeranlagen keine ausreichende Privatsphäre, keinen Rückzugsraum und keinen Schutz für vulnerable Personen bieten.
  • empfiehlt die NKVF dem SEM sowie den Betreuungs- und dem Sicherheitsunternehmen, bei der Unterbringung auf eine konsequente Trennung nach Geschlecht, Alter und Schutzbedürftigkeit zu achten und Schutzräume für besonders verletzliche Gruppen bereitzustellen.
  • erinnert die NKVF daran, dass das Recht auf Zugang zu barrierefreien Einrichtungen auch im Asylbereich gilt, und stellt fest, dass keine der überprüften Unterkünfte für Personen mit körperlichen Einschränkungen zugänglich war.
  • empfiehlt die NKVF, das Betreuungspersonal und die Sicherheitsdienste gezielt zu schulen, da wiederholt unklare oder unangemessene Reaktionen auf Vorfälle physischer oder sexualisierter Gewalt festgestellt wurden.
  • weist die NKVF darauf hin, dass sich LGBTIQ+-Personen in mehreren Fällen unsicher oder ungeschützt fühlten und daher von bestimmten Angeboten fernblieben oder sich sozial isolierten.

Bezüglich des Bundesasylzentrums Balerna (TI) …

  • beobachtete die Kommission, dass Frauen, Männer und Kinder gemeinsam in engen Räumen untergebracht wurden, was Rückzug und Schutz unmöglich machte. Sie empfiehlt, eine getrennte Unterbringung vulnerabler Gruppen sowie Schutzräume für Frauen zu gewährleisten.
  • stellte die Kommission fest, dass Meldungen sexualisierter Gewalt nicht immer zu angemessenen Reaktionen oder Schutzmassnahmen führten. Sie empfiehlt, verbindliche Abläufe für den Umgang mit solchen Vorfällen zu etablieren und betroffene Personen zu schützen.

Bezüglich des Bundesasylzentrums Chiasso (TI) …

  • stellte die Kommission ein starkes Unsicherheitsgefühl bei Frauen fest, unter anderem wegen dokumentierter Fälle sexualisierter Gewalt. Sie empfiehlt, getrennte Unterbringung, klare Schutzkonzepte und funktionierende Meldeverfahren sicherzustellen.
  • beobachtete die Kommission, dass das Personal mit der Betreuung gewaltpräventionsbedürftiger Personen überfordert und schlecht geschult war. Sie empfiehlt, Gewaltpräventionsverantwortliche gezielt zu schulen und organisatorisch zu entlasten.

Bezüglich der Mehrzweckhalle Emmen (LU) …

  • stellte die Kommission fest, dass die Unterbringung in der Mehrzweckhalle in einem grossen offenen Raum für bis zu 200 Personen erfolgte, ohne Rückzugs- oder Ruhebereiche. Sie empfiehlt, diese Halle nur sehr kurzfristig zu nutzen und keine Familien mit Kindern dort unterzubringen.
  • stellte die Kommission fest, dass die sanitären Anlagen sich ausserhalb des Gebäudes befanden und bei schlechtem Wetter schwer zugänglich waren. Sie empfiehlt, wettergeschützte Sanitäranlagen mit sicherem Zugang für alle Personen bereitzustellen.
  • beobachtete die Kommission, dass alle Bewohner:innen im selben Raum untergebracht wurden, was Schutzbedürfnisse nicht ausreichend berücksichtigt. Sie empfiehlt, eine klare räumliche Trennung nach Geschlecht und Familiensituation umzusetzen.

Bezüglich des Bundesasylzentrums Eigenthal (LU) …

  • beobachtete die Kommission, dass die Toiletten und Duschen sich in separaten Baracken befanden, die bis zu 100 Meter entfernt lagen, teils ohne Licht oder Heizung. Sie empfiehlt, sanitäre Anlagen wohnungsnah, beheizt und barrierefrei zu gestalten.
  • bemängelt die Kommission, dass die abgeschiedene Lage des Zentrums die medizinische Versorgung vulnerabler Personen erschwerte. Sie empfiehlt, vulnerablen Personen den Zugang zu spitalnahen Unterkünften zu ermöglichen.
  • stellte die Kommission fest, dass für schulpflichtige Kinder zu wenig Schulplätze zur Verfügung standen. Sie empfiehlt, allen schulpflichtigen Kindern gemäss kantonalem Schulgesetz den Zugang zum Unterricht zu garantieren.

Bezüglich des Bundesasylzentrums Glaubenberg (OW) …

  • stellte die Kommission einen Vorfall massiver physischer Gewalt fest und bemängelte das fehlende Schutzkonzept für Frauen. Sie empfiehlt, geschützte Bereiche für Frauen einzurichten und Schutzmechanismen auszubauen.
  • beobachtete die Kommission, dass das Schulangebot für Kinder reduziert und nicht altersgerecht war. Sie empfiehlt, offene Lehrerstellen umgehend zu besetzen und ein vollständiges Bildungsangebot sicherzustellen.

Lesen Sie hier die entsprechenden Schreiben der NKVF und die Stellungnahmen des Staatssekretariats für Migration SEM.