Austausch statt Isolation!

Gewalt in Bundesasylzentren – Es gibt strukturelle Probleme

Der frisch veröffentlichte Schlussbericht von Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer weist auf strukturelle Probleme in den Bundesasylzentren hin und gibt Empfehlungen ab. Aber wurden alle Probleme erkannt?

Im Frühjahr 2021 wurden erschreckende Nachrichten über exzessive Gewaltanwendung durch Sicherheitspersonal in Bundesasylzentren publik (die ZiAB hat berichtet). Das Staatssekretariat für Migration SEM beauftragte anfangs Mai den Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer, sieben Vorfälle zu untersuchen. Nun wurde der Schlussbericht veröffentlicht.

Der Bericht weist in Form von Empfehlungen auf strukturelle Probleme hin. Die ZiAB hat bereits in der Vergangenheit die ungenügende Aus- und Weiterbildung des Sicherheitspersonals bemängelt und begrüsst ausdrücklich, dass der Bericht dieses zentrale Thema aufgreift und so den Handlungsdruck auf das SEM erhöht. Oberholzer kritisiert zudem die umfassende Auslagerung der Aufgaben im Sicherheitsbereich an private, dafür nicht speziell qualifizierte Dienstleistungsunternehmen. Die ZiAB teilt diese Kritik.

Was die ZiAB am Bericht beunruhigt, ist ein elementarer Trugschluss. Im Bericht werden hängige Strafuntersuchungen in sechs der sieben überprüften Gewaltvorfällen als Beleg dafür aufgefasst, «dass der Rechtsschutz bei tatsächlicher oder vermeintlicher Gewaltanwendung in Asylzentren funktioniert und somit Gewähr für eine unabhängige und unvoreingenommene Untersuchung besteht» (S. 3). Ist dem aber wirklich so? Werden denn überhaupt alle ‘vermeintlichen Gewaltanwendungen’ als solche erkannt und behandelt? Mit dem methodischen Vorgehen Oberholzers können diese zentralen Fragen nicht beantwortet werden.
Der Bericht lässt ausser Acht, dass viele Untersuchungen jeweils erst auf öffentlichen Druck hin eingeleitet werden. Bei der Aufdeckung von Missständen in Bundesasylzentren spielen zivilgesellschaftliche Organisationen, Medienschaffende und vereinzelte Mitarbeitende nach wie vor eine elementare Rolle. Zusätzlich zum wichtigen Engagement dieser Akteur*innen braucht es dringend eine unabhängige Beschwerdestelle für Asylsuchende und Mitarbeitende sowie einen umfassenden Schutz für Whistleblower*innen.

Die Gewaltvorfälle im Frühling dieses Jahres waren ein trauriges Déjà-Vu (siehe offener Brief der ZiAB an den Bundesrat und das SEM). Das SEM trägt die Verantwortung für die Bundesasylzentren und die darin lebenden und arbeitenden Menschen. Diese Verantwortung muss wahrgenommen werden!

Siehe auch:
Medienmitteilung Amnesty International
Medienmitteilung UNHCR
Medienmitteilung Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH