Im Zusammenhang mit der Berichterstattung rund um Gewaltvorfälle in den Bundesasylzentren gab es kürzlich eine Veränderung: Bewohner*innen sowie Mitarbeitende haben öffentlich zu den Vorkommnissen hinter den Zentrumsmauern Stellung bezogen. Neben der offiziellen Einschätzung des Staatssekretariats für Migration SEM drangen so auch die Perspektiven von Menschen vor Ort ans Licht. Weitere erschreckende Einblicke gibt der Bericht von Amnesty International vom 19. Mai 2021.
Das SEM hat auf die Vorwürfe reagiert, verschiedene Personen suspendiert und eine externe Untersuchung angeordnet. Diese Schritte sind zu begrüssen, auch wenn sie zu spät kommen und zu kurz greifen. Denn, sie lassen insbesondere eine strukturelle Problematik ausser Acht: die Personen, die im Verdacht stehen unrechtmässig gehandelt zu haben, arbeiten für private Auftragnehmer des SEM. Eine eingehende Überprüfung der Risiken dieser Auslagerung an externe Dienstleister zu möglichst günstigen Preisen sollte in der laufenden Untersuchung und Aufarbeitung einbezogen werden, vor allem auch von der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates.
Die SBAA und die ZiAB schliessen sich den Forderungen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe an. Der Fokus muss auf Prävention gerichtet und eine unabhängige Beschwerdestelle geschaffen werden. Nur so können Gewaltkonflikte und Verstösse gegen die Grund- und Menschenrechte möglichst vermieden und die problematischen Vorfälle effektiv dokumentiert und geahndet werden.
Laut einer Ankündigung des SEM an die Adresse verschiedener Organisationen, werden zudem bis Ende Juni 2021 in allen Asylregionen die Massnahmen eines neu erarbeiteten Gewaltpräventionskonzeptes implementiert. Das Gewaltpräventionskonzept finden Sie hier auf der Website des SEM.
Im Konzept kommt der Versuch, Gewaltprävention vielschichtig und möglichst ganzheitlich zu denken, deutlich zum Ausdruck. So wird beispielsweise der elementare Zusammenhangzwischen Lebensqualität (u.a. Beschäftigung, Privatsphäre, Selbstbestimmung, Nahrung…) und Gewaltvorfällen hergestellt. Auch wird versucht, dem Schutz von besonders vulnerablen Personengruppen Rechnung zu tragen. Dies erachtet die ZiAB als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Das Konzept zeigt eine gute Identifizierung von Risikofaktoren, jedoch auch eine mangelnde Definition von Massnahmen und Verantwortlichkeiten. Nun bleibt zu hoffen, dass es zu einer raschen Umsetzung kommt.
Die aktuelle Situation rund um die Gewaltvorfälle belegt einmal mehr, wie wichtig es ist, dass die Zivilgesellschaft, NGOs und Medienschaffende im Asylbereich aktiv hinschauen und bei mutmasslichen Verstössen hartnäckig Abklärungen verlangen. Es bleibt zu hoffen, dass durch die aktuellen Debatten neben den Mitarbeitenden in Bundesasylzentren auch Politiker*innen für die Gewaltproblematik sensibilisiert und langfristige Verbesserungen angestossen werden.
Lesen Sie hier die Interpellation von Isabelle Pasquier-Eichenberger (Grüne Partei) zum Thema der Gewalt in Bundesasylzentren und die Antwort des Bundesrates auf ihre Fragen. Besonders ins Auge sticht dabei die Offenlegung von folgenden Betriebskosten: Im Jahr 2020 wurden für die Sicherheitsleistungen in Bundesasylzentren 54 Millionen Franken ausgegeben; für die Betreuung im gleichen Zeitraum ‘nur’ deren 51 Millionen. Die ZiAB ist überzeugt und wiederholt gerne eine alte Forderung: es braucht mehr Betreuungs- und weniger Sicherheitspersonal – und die Bundesasylzentren werden sicherer.
Siehe auch Beitrag zu mehr Videoüberwachung.
SRF Rundschau, Gewaltzone Asylheim, 5. Mai 2021
RTS 19h30, Bavures et rapports trafiqués: la sécurité dérape dans les centres fédéraux d’asile, 5 mai 2021
WOZ, Rapporte der Gewalt, 6. Mai 2021
Stellungnahme SBAA (Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht)
Stellungnahme Staatssekretariat für Migration SEM zum Bericht von Amnesty International
Radio SRF 3, Info 3 (ab Min. 5:41), 19. Mai 2021