Austausch statt Isolation!

NKVF überprüft Bundesasylzentren in der Asylregion Zürich

Von Oktober 2024 bis Januar 2025 hat die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter NKVF unangemeldet die Bundesasylzentren in der Asylregion Zürich (Zürich, Embrach, Dübendorf, Zürich Flughafen) besucht. Die Berichterstattung der NVKF gibt einen Einblick in die Situation in den Bundesasylzentren und formuliert klare Empfehlungen an das Staatssekretariat für Migration SEM und die Betreiberunternehmen.

Im Rahmen dieser Besuche führte die NVKF vertrauliche Gespräche mit asylsuchenden Personen, sowie mit Verantwortlichen und Mitarbeitenden der Betreuungs- und Sicherheitsunternehmen und des Staatssekretariats für Migration SEM. Bei ihrem Besuch legte die Kommission den Schwerpunkt auf Sicherheitsmassnahmen, Gewaltprävention und die Lebensbedingungen von Familien mit Kindern und unbegleiteten Minderjährigen.

Die besuchten Bundesasylzentren (Embrach, Zürich, Dübendorf) übergreifend :

  • Die Kommission stellt fest, dass neben Zimmerdurchsuchungen bei konkretem Verdacht auch regelmässige, verdachtsunabhängige Zimmerkontrollen stattfinden. Aufgrund ihrer Ausgestaltung können auch letztere leicht wie Durchsuchungen wirken, so dass systematisch in die Privatsphäre der betroffenen Personen eingegriffen wird. Die Kommission empfiehlt, auf regelmässige Kontrolle ohne Verdacht zu verzichten, da sie das Recht auf Privatsphäre unverhältnismässig einschränken.
  • Gewaltpräventionsbetreuende können asylsuchende Personen, die das Zusammenleben beeinträchtigen oder sich anderweitig herausfordernd verhalten, als Sicherheitsmassnahme ein Time-out anordnen. Während dieser Zeit müssen die betroffenen Personen das BAZ verlassen oder sich in den Warteräumen aufhalten. Time-Outs werden in Rapporten dokumentiert, aber weder verfügt noch dokumentiert. Als Disziplinarmassnahme ermöglicht ein Ausschluss, bestimmtes Verhalten mit einem Ausschluss aus den allgemein zugänglichen Bereichen des BAZ für bis zu acht Stunden zu sanktionieren. Während der Nacht und den Essenszeiten werden beide Massnahmen unterbrochen. Mehrere Personen gaben an, darüber nicht informiert worden zu sein. Ausschlüsse werden systematisch erfasst und formell verfügt.  Die NKVF empfiehlt, sicherzustellen, dass alle Mitarbeitenden klar zwischen Sicherheitsmassnahme und Disziplinarmassnahme unterscheiden. Sie regt an, auch Time-outs systematisch zu erfassen.
  • Bei jeder Rückkehr in die Unterkünfte erfolgen systematische, verdachtsunabhängige Personendurchsuchungen. Wobei keine Zustimmung der asylsuchenden Person eingeholt wird. Die Kommission empfiehlt, körperliche Durchsuchungen nur bei Vorliegen eines konkreten Verdachts vorzunehmen und dies rechtlich zu verankern.
  • Es besteht weiterhin Verbesserungsbedarf bei der Gewaltprävention. Neben der Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses und klarer Prozesse, bestehe insbesondere Bedarf, frühzeitige deeskalierender Massnahmen zu stärken und die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden zu vertiefen.
  • In allen BAZ werden verschiedene Personengruppen getrennt untergebracht. Ausser in Dübendorf stehen getrennte sanitäre Anlagen zur Verfügung.
  • Teilweise wurden mehrere Familien im selben Schlafraum untergebracht. Die Kommission empfiehlt bei der Unterbringung mehrerer Familien im selben Schlafraum geeignete Massnahmen zur Wahrung der Privatsphäre zu treffen (z. B. Raumteiler).
  • Gewaltpräventionsbetreuende waren in den drei BAZ im Einsatz. Die Kommission regt an in allen BAZ Gewaltpräventionsbetreuende einzusetzen.
  • In der Ausbildung der Gewaltpräventionsbetreuenden bestehen Lücken zudem wurden sie oft zusätzlich mit administrativen Aufgaben betraut. Die Kommission erinnert an ihre Empfehlung, die Gewaltpräventionsbetreuenden angemessen auf ihre Aufgabe und Rolle vorzubereiten und ihnen keine anderen Tätigkeiten zu übertragen.
  • In den drei bekannt gewordenen Fällen von sexualisierter Gewalt haben Mitarbeitende rasch Schutzmassnahmen ergriffen, die Betroffenen über ihre Rechte informiert und externe fachliche Unterstützung sichergestellt. Die Kommission begrüsst dieses Vorgehen.
  • In den drei BAZ trugen Sicherheitsmitarbeitende Pfeffergel bei sich, einschliesslich in Gebäuden für unbegleitete Minderjährige oder Familien mit Kindern. Die Kommission empfiehlt den Einsatz chemischer Reizstoffe in Innenräumen generell zu verbieten und grundsätzlich auf das Tragen von Pfeffergel zu verzichten.
  • Bei den Sicherheitsmitarbeitenden bestehen weiterhin Defizite bei zentralen Punkten der Ausbildung, Kompetenzen wie Deeskalation, Transporttechniken oder dem Umgang mit dem Risiko lagebedingter Erstickung werden oft durch «training on the job» erlernt. Die Kommission erinnert an ihre Empfehlung, für die Sicherheitsmitarbeitenden eine deutlich vertieftere und längere Ausbildung vorzusehen.
  • Die Kommission begrüsst, dass die Empfehlungen für den Übergang von unbegleiteten Minderjährigen in die Volljährigkeit umgesetzt wurden. Für die Umplatzierung wird nun systematisch eine dreitägige Übergangsfrist gewährt und die Information über den Volljährigkeitsentscheid erfolgt durch die Rechtsvertretung und nicht die Betreuungsmitarbeitenden.
  • Die Verpflegung von Kleinkindern ist ungenügend, da sie die gleichen Mahlzeiten wie Erwachsene erhalten, mit einziger Alternative Joghurt. Die Kommission empfiehlt eine ausreichende und vollwertige Ernährung von Kleinkindern entsprechend den Vorgaben der UN Kinderrechtskonvention zu ermöglichen.
  • Trotz verordneter Spezialnahrung für Personen mit Diabetes durch den Gesundheitsdienst des BAZ funktionierte die Umsetzung bei den Mahlzeiten nicht. Die NVKF empfiehlt, die bedarfsgerechte Verpflegung für Personen mit medizinisch begründeten Ernährungsanforderungen sicherzustellen.
  • Die Kommission begrüsst die gemeinnützigen Arbeitseinsätze von asylsuchenden Personen in der Produktionsküche im BAZ Embrach. Sie bedauert jedoch, dass im BAZ Zürich trotz neuer Infrastruktur keine Produktionsküche vorhanden ist und im BAZ Dübendorf die Produktionsküche nicht zum Kochen unter Beteiligung der asylsuchenden Personen genutzt werden darf.
  • Eingerichtete Kleiderräume stehen in allen BAZ zur Verfügung. Positiv beurteilt die Kommission, dass die asylsuchenden Personen die Kleidung und Schuhe selbst auswählen und anprobieren können. Teilweise fehlen Kleidergrössen für Männer sowie Winterkleidung und winterfeste Schuhe. Die NKVF empfiehlt, sicherzustellen, dass alle BAZ über ausreichend Kleidung in kleinen und grossen Grössen für Männer sowie über Winterkleider und winterfeste Schuhe verfügen.

Bezüglich des Bundesasylzentrums Dübendorf

  • Das BAZ verfügte über keinen geschützten Duschbereich ausschliesslich für Frauen und Mädchen. Auch die Toilettenräume waren gemischtgeschlechtlich gekennzeichnet und wurden von allen genutzt. Diese Ausgestaltung der Duschen und Toiletten bietet keinen ausreichenden Schutz der Intimsphäre. Die Kommission empfiehlt allen asylsuchenden Personen eine geschlechtergetrennte Nutzung von Duschen und Toiletten zu gewährleisten.
  • Zwischenmahlzeiten wurden nur während der Hauptmahlzeiten abgegeben und ausserhalb dieser Zeiten lediglich auf Nachfrage angeboten. Jedoch waren die meisten asylsuchenden Personen darüber nicht informiert.

Bezüglich des Bundesasylzentrums Embrach

  • Bei der Nutzung des Sicherheitsraums, wurden asylsuchende Personen im Vorraum bis auf T-Shirt und Unterhose entkleidet und auch die anschliessende Festhaltung im videoüberwachten Sicherheitsraum fand in T-Shirt und Unterhose statt. Die Kommission erinnert, dass Entkleidung und Unterbringung in Unterwäsche im videoüberwachten Sicherheitsraum eine erniedrigende Behandlung darstellt und empfiehlt, die Praxis unverzüglich einzustellen. Die NKVF begrüsst, dass nach dieser Kritik die Weisung für die Asylregion rasch angepasst wurde und das Entkleiden bis auf die Unterhose nun ausdrücklich untersagt ist.
  • Es wurden auch Minderjährige im Sicherheitsraum untergebracht. Die Kommission empfiehlt erneut, dass Minderjährige nicht durch private Sicherheitsmitarbeitende in Sicherheitsräumen festgehalten werden sollen.

Bezüglich des Bundesasylzentrums Zürich

  • Der Sicherheitsraum kam 2024 nicht zum Einsatz. Der Raum hat jedoch keine Toiletten, Wasserzugang oder Sitz- oder Liegemöglichkeit. Die Kommission empfiehlt die Infrastruktur zu verbessern.
  • Warteräume werden regelmässig für Übernachtungen von verspätet zurückkehrenden Personen, sowie zur vorübergehenden Unterbringung von asylsuchenden Personen genutzt, die stark alkoholisiert oder unter dem Einfluss anderer Substanzen stehen und sich dabei aggressiv verhalten. Die Kommission stellt fest, dass zwar die Unterbringung in einem separaten Schlafraum situativ zur Wahrung der Nachtruhe und Sicherheit der übrigen asylsuchenden Personen beitragen kann. Jedoch sind die Warteräume als Schlafräume ungeeignet, da sie aufgrund der Videoüberwachung und der Fensterfronten weder Sichtschutz noch Privatsphäre bieten. Die Kommission empfiehlt, bei der Unterbringung asylsuchender Personen im Logenbereich das Recht auf Privatsphäre besser zu schützen.
  • Tägliche Konflikte führten zu einem Unsicherheitsgefühl bei Familien mit Kindern und allein reisenden Frauen. Die Kommission empfiehlt sicherzustellen, dass geeignete Massnahmen ergriffen werden, um die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl der asylsuchenden Personen – insbesondere von Familien mit Kindern – zu gewährleisten.

Bezüglich des Bundesasylzentrums Zürich Flughafen

  • Trotz der gesetzlich verankerten maximalen Aufenthaltsdauer von 60 Tagen, hielten sich mehrere Personen länger dort auf. Die Kommission ist der Ansicht, dass ein Aufenthalt der 60 Tage überschreitet, einen Freiheitsentzug darstellt. Sie empfiehlt, bei längeren Aufenthalten alternative Unterbringungsmöglichkeiten mit grösserer Bewegungsfreiheit zu prüfen.
  • Für den Gesundheitsdienst steht kein permanenter, separater Raum zur Verfügung. Dadurch ist die Vertraulichkeit der medizinischen Untersuchungen kaum gewahrt. Die Kommission empfiehlt, dass ein entsprechender Raum bereitgestellt wird.
  • Die Kommission begrüsst die Möglichkeit zum Selberkochen im BAZ.

Lesen Sie hier die entsprechenden Schreiben der NKVF und die Stellungnahmen des Staatssekretariats für Migration SEM.