Der Nationalrat hat am 18. September mit 104 zu 87 Stimmen neue Sicherheitsregeln für Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Mitarbeitende in BAZ beschlossen. In zwei Punkten geht er dabei über die Vorschläge des Bundesrates hinaus: So soll die Zone um die BAZ vergrössert werden, in dem gegen Asylsuchende Disziplinarmassnahmen ergriffen werden können, wenn ihr Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet. Zudem sollen Mitarbeitende des Staatssekretariats für Migration (SEM) auch elektronische Geräte wie Handys von Asylsuchenden zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung konfiszieren können. Die Vorlage geht nun an den Ständerat.
Die Gesetzesvorlage, die im Nationalrat verabschiedet wurde, ist eine Reaktion auf zahlreiche Berichte über Gewaltvorfälle von Sicherheitspersonal gegenüber Bewohnerinnen und Bewohnern der BAZ. Diese Vorfälle wurden unter anderem von den Organisationen «Solidarité Tattes«, «3 Rosen gegen Grenzen» und «Droit de Rester» gemeldet. Amnesty International veröffentlichte einen Bericht mit dem Titel „Ich verlange nur, dass sie Asylsuchende wie Menschen behandeln“, der die Aussagen dieser Basisorganisationen untermauerte.
Das SEM reagierte darauf mit einer internen Untersuchung und beauftragte den ehemaligen Bundesrichter Oberholzer mit einem Bericht. Der Bericht über mehrere Einzelfälle ist sehr fundiert, und der ehemalige Richter kam zu dem Schluss, dass Gewalt in den Zentren nicht „systematisch“ sei. Das SEM beschränkte seine Kommunikation über den Bericht auf diese Schlussfolgerung – ein Vorgehen, das jedoch als irreführend bezeichnet werden kann.
Keine der vorgenannten Organisationen hat jemals behauptet, dass systematisch Gewalt angewendet werde. Viele Menschen in den Zentren sind nie von Sicherheitspersonal angegriffen oder misshandelt worden. Eine genauere Analyse des Berichts zeigt aber, dass die Gewalt in den Zentren durchaus systemische Ursachen hat. Sie wird durch die strukturellen Bedingungen in den BAZ ermöglicht oder sogar begünstigt. Zu diesen Bedingungen gehören:
- der gefängnisähnliche Charakter der Zentren,
- die soziale und räumliche Isolation der Bewohnerinnen und Bewohner,
- ein Reglement mit unverständlichen und entwürdigenden Vorschriften, wie etwa Weckdienste um 7 Uhr morgens zum Zimmeraufräumen, keine Essensausgabe oder Taschengeldentzug bei Verspätungen,
- unverhältnismässige repressive Massnahmen, wie systematische Durchsuchungen oder Zwangsmassnahmen ohne konkreten Verdacht,
- prekäre Arbeitsbedingungen des Sicherheits- und Betreuungspersonals,
- mangelhafter Zugang zu körperlicher und psychischer Gesundheitsversorgung, insbesondere in der Prävention von psychischen Krankheiten,
- fehlendes Konzept zur Prävention oder Betreuung von Suchtproblemen,
- Perspektivenlosigkeit vieler Bewohnerinnen und Bewohner, die auf ihre Abschiebung warten,
- unzureichende Personalplanung, die zu Überlastung führt,
- ein Missverhältnis zwischen der Anzahl von Sicherheits- und Sozialarbeitspersonal.
Das im Nationalrat verabschiedete Gesetz hat zwar den Vorteil, dass es die repressiven Massnahmen regelt, was ein erster notwendiger Schritt ist. Es mag dazu beitragen, gravierende Vorfälle zu verhindern, dennoch löst es keineswegs das Problem der Gewalt in den BAZ. Eine intensivere Auseinandersetzung mit den oben genannten strukturellen Problemen wäre ein weitaus zielführenderer Ansatz.
Die vom Nationalrat beschlossenen Massnahmen sind nämlich nicht geeignet, die grundlegenden Probleme, die als Ursache von Gewalt in den BAZ in Frage kommen, zu beheben. Vielmehr wäre wünschenswert, dass der Ständerat Massnahmen beschliesst, die die Situation der Betroffenen – also sowohl des Personals als auch der Bewohnerinnen und Bewohner – nachhaltig verbessert, anstatt mit der Ausweitung des Perimeters und der Beschlagnahmung elektronischer Geräte weitere Symptombekämpfung zu betreiben.